Mittwoch, 18. September 2024
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    Eine fast wahre Geschichte: Magda Goebbels und ihr schwuler Liebhaber

    Die Geschichte der Magda Goebbels wurde schon oft erzählt: First Lady des Dritten Reichs, fanatische Nationalsozialistin und Mörderin ihrer eigenen Kinder. Die Schriftstellerin Nora Bossong nähert sich dieser Figur von einer unerwarteten Perspektive - ihrem tatsächlich existierenden Liebhaber als Ich-Erzähler mit einem Geheimnis.

    Bei „Reichskanzlerplatz“ von Nora Bossong handelt es sich um einen literarisch anspruchsvollen Roman, der sich mit der Figur der Magda Goebbels auseinandersetzt und auf historischen Fakten beruht. Die Geschichte beginnt in den 1920er Jahren, als Magda noch Magda Quandt heißt, und zieht sich über zwei Jahrzehnte.

    Magda Goebbels kennt den Weg zum sozialen Aufstieg schon früh

    Mit 19 Jahren heiratet sie den wohlhabenden, viel älteren Industriellen und späteren Nazi-Kollaborateur Günther Quandt, der ihr den Aufstieg in die besseren Kreise Berlins ermöglicht. Hier setzt Nora Bossongs Buch „Reichskanzlerplatz“ ein.

    Es ist die Zeit, als Magda Goebbels noch nicht als Frau des NS-Propagandaministers im Rampenlicht stand. Bossong versucht, sich ihrer kaum fassbaren Lebensgeschichte fiktional zu nähern. 

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    Eine ungewohnte Perspektive, um die Figuren zu zeichnen

    Die Autorin nimmt die Perspektive des jungen Jurastudenten Hans Kesselbach ein, der sich zu Männern hingezogen fühlt und eine Affäre mit Magda beginnt, während sie noch mit Quandt verheiratet ist. Diese Affäre, die historisch belegt ist, wird bei Bossong zum Teil einer verwirrenden Dreieckskonstellation.

    Denn in dem Buch hat er ein sexuelles Interesse an Goebbels’ Stiefsohn Hellmut, der seinerseits in eine verbotene Liebe mit Magda verstrickt ist. Diese Verwicklungen finden ein jähes und tragisches Ende, als Hellmut nach einer missglückten Operation stirbt.

    Der ehemalige Lover arrangiert sich mit dem Regime

    Seine Affäre mit Magda wird zum Auslöser für die Scheidung ihrer unglücklichen Ehe, die sie schließlich in die Arme von Joseph Goebbels führt. Schließlich trennen sich ihre Wege: Magda Goebbels wird fanatische Nationalsozialistin, Hans arrangiert sich mit dem Regime und wird Diplomat in Italien. Seine Homosexualität macht ihn jedoch erpressbar.

    Die Figur des Hans Kesselbach, Sohn eines Offiziers und Kriegsinvaliden, scheint vage von einer realen Person inspiriert zu sein. An ihm lotet Bossong die moralische Zerrissenheit seiner Figuren aus. Hans selbst bleibt als Ich-Erzähler jedoch oft auf emotionaler Distanz und wirkt überraschend unnahbar, obwohl er eigentlich im Zentrum der Handlung steht.

    Der Erzählstil lässt Raum für die Lesenden – den man nicht immer haben möchte

    Bossong verwendet einen zurückhaltenden Erzählstil, der viele Geschehnisse nur andeutet und den Leser:innen Raum lässt, eigene Schlüsse zu ziehen. Diese erzählerische Zurückhaltung trägt zwar zur literarischen Eleganz des Romans bei, kann aber auch zu einer gewissen emotionalen Kälte führen.

    Interessant ist auch, wie Bossong historische Parallelen zur Gegenwart zieht und das dunkle Kapitel der deutschen Geschichte nutzt, um Fragen zu stellen, die auch heute noch relevant sind: Wie viel moralischen Widerstand kann man vom Einzelnen erwarten? Diese Überlegungen machen „Reichskanzlerplatz“ zu mehr als einem historischen Roman.

    Und durch die Erzählperspektive bewegt man sich während des Lesens eigentlich immer auf der Seite der Nationalsozialisten – in einer Tiefe, die bedrückt. Obwohl der Roman handwerklich beeindruckt und viele wichtige Fragen aufwirft, bleibt er hinter seinen Möglichkeiten zurück. Dennoch bleibt es ein starkes Stück Literatur.

    Buchtipp
    reichskanzlerplatz 9783518431900 cover
    Nora Bossong
    Reichskanzlerplatz
    Roman | 295 Seiten | Suhrkamp
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